Mediation und politische Konflikte

Seite 1: Konfliktbearbeitungsmodelle und Mediation

Verfahrensmodelle zur Konfliktlösung

Konflikte im privaten wie im politischen Bereich können zu dramatischen Eskalationen führen. (1) Aus Angst vor diesen Folgen wird zuweilen die Austragung der Konflikte durch Nachgeben oder Flucht vermieden. Dies jedoch schafft oder zementiert in der Regel Unrecht und Gewalt. Im Rechtsstaat kann durch Gesetze, Rechtsprechung, Polizei und Gefängnisse vielfach eine weitere Eskalation (vorerst) verhindert werden, die unterlegene Seite wird dadurch jedoch nicht zufrieden gestellt, besonders wenn sie mit Gewaltmaßnahmen »in die Schranken verwiesen« wurde. Der Konflikt wird dadurch nicht gelöst, sondern nur »entschieden«. Er schwelt weiter und kann (wird) an anderer Stelle wieder aufflammen – mit ähnlichen negativen Auswüchsen...

Eine Lösung aus diesem Kreislauf der Gewalt kann nur der konstruktive Umgang mit dem Konflikt bringen. Dieser ist gekennzeichnet durch einen Verzicht auf Zwangsmaßnahmen, einen respektvollen Dialog auf Augenhöhe und die Suche nach Lösungen, die von allen Beteiligten mitgetragen werden können. Dies sind die Grundlagen für verschiedene Verfahren der einvernehmlichen Konfliktaustragung:

  • Direktverhandlungen zwischen den Konfliktparteien, wenn sie einander ebenbürtig sind oder die stärkere Seite auf ihre Sanktions- und Entscheidungsmacht verzichtet.
  • Beratung und Therapie, wenn dabei alle Streitparteien einbezogen werden und gewährleistet ist, dass die Lösungen nicht von den Beratenden oder Therapierenden vorgegeben werden.
  • Moderation als Form der Verhandlung, die durch eine neutrale Drittpartei unterstützt wird. Dabei geht es in erster Linie um die Sachebene eines Konfliktes.
  • Mediation als externe, allparteiliche Unterstützung für Konflikte, bei denen starke Emotionen und Beziehungsblockaden eine sachgerechte Problemlösung erschweren oder verhindern, und für eskalierte Auseinandersetzungen.
  • Vergleich, wie er bei Gerichtsverfahren von Richter/innen häufig angeregt oder in Güteterminen angestrebt wird, um ein Urteil überflüssig zu machen.
  • Schlichtung (2) oder Schiedsgericht, wenn die Konfliktbeteiligten bereit sind, sich darauf einzulassen, dass der Lösungsvorschlag von externen Personen erarbeitet wird.

Dabei wird unterschieden zwischen nicht-bindenden und bindenden Schiedssprüchen: Im ersteren Falle können die Beteiligten wählen, ob sie den Schiedsspruch annehmen wollen oder nicht.
Im anderen Fall haben sich die Beteiligten darauf eingelassen, dass der Schiedsspruch zu einer rechtlichen Bindung wie bei einem Gericht führt und müssen den Spruch annehmen.

Die direkte Verhandlung zwischen zwei Streitparteien ist der häufigste und angebrachteste Weg, mit einem Konflikt umzugehen. Sie kann unmittelbar aufgenommen werden, erfordert keinen aufwändigen organisatorischen Vorlauf, kostet nichts und ist im höchsten Maße selbstbestimmt.

Da in festgefahrenen oder eskalierten Konflikten die Konfliktparteien jedoch meist nicht mehr ohne externe Unterstützung weiterkommen, jegliche inhaltliche Einmischung als Parteilichkeit und Untergrabung der Autonomie wahrgenommen wird, ist für diese Situation die Mediation das hilfreichste Verfahren. Die Unterschiede zu den anderen Mitteln der Wahl sollen deshalb kurz dargestellt werden.

Prinzipien und Ablauf einer Mediation

 

Das Hinzutreten einer vermittelnden Person bedarf einiger Vorraussetzungen, damit es wirklich eine Hilfe ist und nicht den Konflikt nur verkompliziert. Folgende Kriterien sollten berücksichtigt werden, wobei die Praxis lehrt, dass sie nicht immer hundertprozentig erfüllt sein können. Wichtig ist jedoch, dass sie bekannt sind und etwaige Abweichungen die Zustimmung der Betroffenen finden.

Einbeziehung aller Konfliktparteien

Bei der Konfliktklärung durch Mediation geht es darum, alle relevanten Konfliktbeteiligten miteinander ins Gespräch zu bringen, um eine einvernehmliche Lösung zu erreichen. Dies ist anders als bei Therapie, Beratung und Coaching, die in der Regel nur mit einer Person arbeiten. Es müssen also alle Konfliktparteien anwesend sein oder per Pendelmediation in Kontakt gebracht werden. Fehlen einzelne Streitparteien, kann der Konflikt mit ihnen auch nicht gelöst werden – außer sie akzeptieren das mit den anderen Beteiligten ausgehandelte Ergebnis.

Neutralität und Allparteilichkeit

Vermittler/innen sollten nicht in den Konflikt verwickelt oder von dessen Ausgang betroffen sein. Denn dies könnte ihre Unparteilichkeit einschränken. Bei der Auswahl einer geeigneten Person werden die Streitenden sehr darauf achten, dass die Vermittler/innen nicht im Verdacht stehen, einer Seite näher zu stehen und sie zu begünstigen. Die Neutralität ist deshalb oberstes Gebot. Sie bezieht sich auf die Sachebene. Den Personen dagegen sollte ein warmherziges Interesse entgegen gebracht werden. Da diese Zugewandtheit allen Beteiligten gelten muss, spricht man auch von Allparteilichkeit.

Freiwilligkeit und Bereitschaft

Mediation darf nicht aufgezwungen werden. Eine freiwillige Teilnahme ist die beste Voraussetzung für einen produktiven und gelingenden Prozess. Allerdings kann es Situationen geben, in denen diese Freiwilligkeit nicht oder nur eingeschränkt gegeben ist und Mediation trotzdem besser ist als Weitermachen wie bisher. Bei Teamkonflikten im Arbeitsleben wird in der Regel die Teilnahme aller Mitglieder erwartet, zumal wenn die Mediation in der Arbeitszeit stattfindet. Die Nichtteilnahme einer (wichtigen) Person kann das ganze Team lahm legen.

Andererseits bringt es auch nicht weiter, eine widerspenstige Person in das Verfahren hineinzuzwingen. Deshalb muss es zumindest gelingen, wenn schon nicht die Freiwilligkeit gegeben ist, zumindest die Bereitschaft zu erreichen, sich auf den Prozess (erst einmal) einzulassen und nicht dagegen zu arbeiten. Ein Ausstieg zu einem späteren Zeitpunkt ist immer möglich und gehört zu dem Aspekt der Freiwilligkeit dazu.

Inwieweit Freiwilligkeit mit Freiheit von Druck gleichgesetzt werden kann, ist fraglich. Denn jeder Konflikt ist auch eine Situation voll psychischen Drucks. Auch kann schon allein die Nichtteilnahme an einem gütlichen Einigungsversuch bedeuten, dass die regulär vorgesehenen Sanktionen greifen. Dies kann eine Abmahnung oder Kündigung bei Arbeitskonflikten oder eine vom Gericht verhängte Strafe bei Tätern sein, die sich auf keinen Täter-Opfer-Ausgleich einlassen wollen.

Bei ungleichen Konfliktparteien kann es sogar nötig sein, dass die schwächere Seite Druck erzeugt, damit sie als Verhandlungspartnerin ernst genommen wird. Dieser Druck darf jedoch nicht verwechselt werden mit Zwangsmaßnahmen, die nicht auf eine Lösung im Dialog abzielen.

Vertraulichkeit

Damit in der Mediation offen und ohne Angst vor Gesichtsverlust und negativen Konsequenzen geredet werden kann, werden die Gesprächsinhalte von den Mediator/innen vertraulich behandelt. Wie die Konfliktbeteiligten mit dem Gehörten umgehen, müssen sie miteinander zu Beginn aushandeln. Manchmal vereinbaren sie auch Verschwiegenheit nach außen hin, manchmal gestehen sie sich gegenseitig zu, mit nahen Vertrauten über die Mediation zu reden. Wichtig ist auf jeden Fall, dass mit den Informationen, die aus der Mediation gewonnen werden, so achtsam umgegangen wird, wie man es sich auch von der anderen Person wünscht.

Selbstverantwortung und eigene Lösungen

Mediation belässt die Lösungsfindung und Entscheidungsgewalt in den Händen der Konfliktparteien. Sie zielt nicht auf ein von den Mediator/innen ausgearbeitetes Ergebnis ab. Die Mediator/innen sind also für den Prozess zuständig, die Konfliktbeteiligten für die Inhalte. Dies gewährt den Teilnehmer/innen ein Höchstmaß an Autonomie, was das Ergebnis des Vermittlungsprozesses angeht.

Einvernehmliche Entscheidungen

Ein Konflikt ist erst dann gelöst, wenn alle Beteiligten der Lösung zustimmen, sie mittragen und auch umsetzen. Das bedeutet, dass es in Mediationen keine Mehrheitsentscheidungen gibt, es sei denn, man einigt sich darauf. Im klassischen Fall der Zweiparteien-Mediation ist auch keine andere Lösung denkbar als die Konsenslösung, weil es keine »Mehrheit« geben kann.
Dieses Konsens-Prinzip ist auch eine wichtige Sicherheit für »schwächere« Teilnehmer/innen oder Minderheiten, dass sie nicht »über den Tisch gezogen« werden können. Denn die anderen sind auf ihre Zustimmung angewiesen. Jeder Versuch, »handlungsfähig« zu werden durch Einführung von Mehrheitsabstimmungen, bedeutet immer auch etwas weniger an Konfliktlösung und letztlich auch die Ausgrenzung der Minderheiten.

Seite 2: Mediation vs. Moderation

Konfliktlösung durch Mediation im Unterschied zu Moderation

Konflikte sind gekennzeichnet durch einen Beziehungsaspekt, der sich durch negative Gefühle der anderen Seite gegenüber ausdrückt, und einem Sachaspekt, der sich in einem ungelösten Problem zeigt, was oft auch als »Interessenkonflikt« bezeichnet wird. (3)

Handelt es sich um ein reines Sachproblem, reicht als Unterstützung meist eine unparteiliche Moderation aus, in der Interessen hinter den Positionen herausgearbeitet und kreative, einvernehmliche Lösungen erarbeitet werden. Dass es dabei mitunter auch zu emotionalen Ausbrüchen kommt, die eher situationsbezogen sind (»Stresskonflikte«), ist normal. Diese können jedoch durch eine geschickte Moderation aufgefangen werden.

Schwieriger wird es, wenn die Beteiligten bereits mit ablehnenden Einstellungen und Gefühlen dem/der anderen gegenüber an den Verhandlungstisch kommen. Diese können aus negativen Vorerfahrungen oder eskaliertem Konfliktaustrag resultieren. Eine Übereinkunft kann dadurch in weite Ferne rücken, selbst wenn es (scheinbar) einfache Lösungsmöglichkeiten gibt. Der Grund liegt darin, dass das Gefühl, verletzend oder unfair behandelt worden zu sein, jegliche Kooperationsbereitschaft untergräbt. Der anderen Person wird keine wohlmeinende Absicht abgenommen, zumindest wird eine glaubwürdige Entschuldigung erwartet, der auch entsprechende Taten folgen. Da dies wechselseitig der Fall ist, blockiert diese Beziehungskonstellation jedes Vorankommen auf der Sachebene.

Mediation setzt im Unterschied zur Moderation an dieser Stelle an und thematisiert diese Vorgeschichte mit den daraus entspringenden heftigen Gefühlen und Misstrauen gegenüber der anderen Seite. Diese Verletzungen werden anerkannt und ihre Hintergründe ausgeleuchtet. Interpretationen von Handlungen der Gegenseite werden bewusst gemacht und überprüft, Missverständnisse aufgedeckt und die nicht erfüllten Erwartungen und Bedürfnisse herausgearbeitet. Dadurch kann bei der jeweils anderen Konfliktpartei ein gewisses Verständnis für die Gefühle und das Verhalten des Gegenübers entstehen. Verstehen muss dabei nicht Gutheißen bedeuten. Da dieser Prozess wechselseitig abläuft, kann eine Auflockerung der Verstrickungen erreicht werden bis hin zur Bereitschaft, sich nun wirklich konstruktiv an einer gemeinsamen Lösungsfindung zu beteiligen. An dieser Stelle setzt dann auch in der Mediation die moderative Arbeit an den Sachthemen ein. Mediation kann also als ein Gemisch von Beziehungsklärung und Moderation angesehen werden. (4)

Unterschiede Bürger/innenbeteiligung/Moderation – Konfliktklärung/Mediation*
Bürgerbeteiligung/ModerationKonfliktklärung/Mediation
Ergebnisoffenheit, falls frühzeitig eingesetztmeist eingeschränkte Ergebnisoffenheit
Im Idealfall Planung noch nicht abgeschlossenPlanung (weitgehend) abgeschlossen
Noch kein BaubeginnBaubeginn
Noch keine Kosten für Projektrealisierung entstandenKosten für Projektrealisierung entstanden
Keine organisierte Protestbewegung gegen dieses ProjektOrganisierte Protestbewegung gegen dieses Projekt
Keine Polizeieinsätze, Urteile, Strafen, Repressionen gegen ProtestierendePolizeieinsätze, Urteile, Strafen, Repressionen gegen Protestierende
Noch keine schlechten Erfahrungen (in dieser Sache) mit der anderen SeiteSchlechte Erfahrungen (in dieser Sache) mit der anderen Seite
Keine oder geringe emotionale AufladungHohe emotionale Aufladung
Vertrauen noch vorhandenMisstrauen
Keine Feindbilder, HöflichkeitFeindbilder, Feindseligkeit
GesprächsbereitschaftBeschränkte Gesprächsbereitschaft
Guter WilleVerhärtungen
Hoffnung auf gutes gemeinsames ErgebnisWenig Glauben an ein gemeinsames Ergebnis
Betroffenheit über Eskalation

Evtl. Rückkehr zu Ergebnisoffenheit

*Diese Gegenüberstellung ist modellhaft, sie bildet nicht die gegenwärtige Praxis ab.

Unterschiede Bürger/innenbeteiligung/Moderation - Konfliktklärung/Mediation
Bürgerbeteiligung/ModerationKonfliktklärung/Mediation
Evtl. Eingeständnisse, Entschuldigungen
Evtl. Wunsch nach Aussöhnung und Neuanfang
Fokus auf ZukunftFokus auf Vergangenheit und Zukunft

Menschliche Ebene

Persönlliche Ebene, Gefühle, Beziehungsebene, Gefühle, Grundsätze, Werte, Bedürfnisse

SachebeneSachebene
InteressenInteressen
Seite 3: Besondere Aspekte (I)

Besonderheiten bei politischen Konflikten un deren Bearbeitung

Das hier beschriebene Modell der Mediation hat sich in privaten Konflikten und in Auseinandersetzungen in Gruppen, Teams und Organisationen bewährt. Lässt es sich auch auf das Feld der politischen Konflikte übertragen?

Achtung

Als »politische Konflikte« seien hier Streitfragen bezeichnet, die von öffentlichem Interesse sind und zwischen verschiedenen Gruppierungen innerhalb eines Gemeinwesens angesiedelt sind. Dies kann auf der Ebene der Gemeinden, der Regionen, der Bundesländer oder eines ganzen Staates sein.

Internationale Konflikte seien hier ausgeklammert, es geht in dieser Veröffentlichung um innergesellschaftliche Konfliktregelung. Eine Übertragung auf grenzüberschreitende Konflikte – wie etwa der Streit um die Einflugschneisen des Züricher Flughafens – ist jedoch nicht abwegig.

Achtung

Politische Konflikte haben in der Regel eine größere Reichweite als andere Konflikte und sind meist verbunden mit politischen Entscheidungen in Parlamenten und Verwaltungen. Es gibt mehr Konfliktbeteiligte und es geht um größere Projekte mit höheren Ausgaben und gravierenderen Auswirkungen auf Natur und Umwelt.

Bekannt sind vor allem die Konflikte um Projekte wie Flughafenbau und neue Landebahnen, Autobahnen und Umgehungsstraßen, Bahnhöfen und Zugtrassen, atomare oder konventionelle Großkraftwerke, Atommüll und Sondermülldeponien, Militäranlagen, Gestaltung von Innenstädten, größere Fabrikansiedlungen und Veranstaltungsgebäude, Flüchtlingswohnheime, Studiengebühren, Kleingärten.

Eine Konfliktbearbeitung muss in diesen Fällen folgende zusätzliche Rahmenbedingungen und Erschwernisse beachten: (5)

  • Große Anzahl an Konfliktbeteiligten und Betroffenen

Da Mediation eine intensive Gesprächsarbeit mit allen Beteiligten erfordert, darf die Mediationsgruppe nicht zu groß sein. Das bedeutet, dass bei politischen Konflikten nicht alle vom Streit Betroffenen mit am Tisch sitzen können. Die Gruppen müssen Vertreter/innen zu den Verhandlungen schicken.

Die Versuchung, aus Gründen der Verfahrensvereinfachung bestimmte Konfliktparteien nicht zu beteiligen, ist gefährlich: Neue Konflikte werden dadurch vorprogrammiert und das Verhandlungsergebnis wird vermutlich von den Nichtbeteiligten torpediert werden.

Selbst wenn nicht alle Konfliktparteien an der Mediation teilnehmen wollen, kann jedoch unter Umständen ein sinnvolles Ergebnis erzielt werden, wenn zumindest die Hauptbetroffenen vertreten sind und die Interessen der Abwesenden mitberücksichtigt werden.

  • Delegation und Entscheidungsbefugnisse von Gruppenvertreter/innen

Die Gruppen müssen fähig sein, Vertreter/innen zu bestimmen, die das Vertrauen der ganzen Gruppe haben. Der Informationsfluss und die Rückkopplung zur Gruppe müssen gewährleistet sein. Denn ein Verhandlungsergebnis, das nur die Meinungen und Wünsche der Vertreter/innen widerspiegelt, nutzt nichts. Die vertretenen Gruppen müssen damit einverstanden sein.

Sofern die Gruppen nicht zu groß sind, könnte das Mediationsgespräch in Form eines »Fishbowls« stattfinden: Das bedeutet, dass um die Mediationsgruppe herum Beobachter/innen sitzen, die aber nicht in das Gespräch eingreifen dürfen.

Vorteil: Die Gruppenmitglieder bekommen direkt mit, was und wie verhandelt wird. Übermittlungsfehler können ausgeschaltet werden. Rücksprachen in Pausen sind möglich.

Nachteil: Der nicht-öffentliche, vertrauliche Charakter des Mediationsgespräches wird gestört. Die Gefahr von Störungen und »Schaukämpfen« ist gegeben.

Variationsmöglichkeit: Die beobachtenden Gruppenmitglieder bekommen die Möglichkeit, notfalls auch selbst in das Gespräch einzugreifen, indem sie einen von zwei oder drei offenen Plätzen am Mediationstisch einnehmen und dadurch Teil der Gesprächsrunde werden. Anschließend machen sie den Platz wieder frei.

  •     Berücksichtigung der »schweigenden« Bevölkerungsteile

Nicht nur die organisierte Bürgerschaft soll mitreden oder berücksichtigt werden, sondern auch die »schweigende« – seien es Mehr- oder Minderheiten. Dazu gibt es verschiedenste Verfahren, die auf Zufallsauswahl oder Repräsentativität beruhen. (6) 

Diese könnten vor allem in der Phase der Lösungsfindung mit dem Mediationsverfahren verzahnt werden.

  •     Öffentliches Interesse und Vertraulichkeit

Die Vertraulichkeit eines Privatgespräches lässt sich in politischen Streitfällen kaum verwirklichen. Denn die Verhandelnden müssen sich mit ihrer Gruppe absprechen, die unter Umständen recht groß sein kann. Außerdem kann – besonders bei eher informellen Gruppen wie etwa Bürgerinitiativen – nicht unbedingt gewährleistet werden, dass niemand Informationen nach außen trägt.

 

Wichtig

Wichtig ist es auch, den Umgang mit den öffentlichen Medien abzuklären: In welcher Weise werden sie informiert? Dürfen Pressevertreter/innen bei den Gesprächen dabei sein? Soll es eine TV-Live-Übertragung geben (wie bei der »Schlichtung Stuttgart 21«)?

Hilfreich ist es, wenn der Verhandlungsprozess nicht durch direkte, verfrühte oder emotionalisierende Berichterstattung gestört wird.

Um einen Ausgleich zwischen öffentlichem Interesse und Vertraulichkeit der Gespräche zu schaffen, könnten bestimmte Teile des Verfahrens – z.B. die Darlegung der Sichtweisen und die kreative Lösungsfindung – öffentlich stattfinden, andere Teile – wie z.B. die Klärung emotional aufgeheizter zwischenmenschlicher Konflikte oder evtl. das Aushandeln der Übereinkunft – nichtöffentlich stattfinden oder in vertrauliche Gesprächsrunden ausgelagert werden.

Seite 4: Besondere Aspekte (II)
  • Anderer Stellenwert von persönlichen Gefühlen und Beziehungen

Die Tatsache, dass bei politischen Konflikten Gruppen miteinander ins Gespräch kommen müssen, dies jedoch oft nur mittels delegierter Einzelpersonen möglich ist, verändert den Stellenwert von persönlichen Beziehungen und Gefühlen bei solchen Gesprächen:

Es geht bei den Verhandlungen mehr um die Interessen der im Konflikt liegenden Gruppen als um die Befindlichkeit ihrer Vertreter/innen. Zwar sind diese als Störungen oder Beeinflussungsfaktoren im Mediationsgespräch zu berücksichtigen und zu bearbeiten, aber was die Personen an den Tisch zusammenbringt, ist letztlich kein Konflikt, der in ihrer persönlichen Beziehung liegt, sondern einer, der an ihre soziale Rolle gebunden ist.

Mögliche Annäherungsprozesse über den Weg des gegenseitigen persönlichen Verstehens der Beteiligten sind jedoch hilfreich, wenn dieses persönliche Verständnis oder das darauf beruhende Verhandlungsergebnis auch der eigenen Gruppe vermittelt werden kann. Andernfalls könnte es dazu führen, dass die Vertreter/innen das Vertrauen der Gruppe verlieren und ausgewechselt werden.

Das Ansprechen von Gefühlen kann eine veränderte Sichtweise des Konflikts bewirken. Wenn diese Gefühlslage der gesamten Gruppe zu eigen ist, gehört dies unbedingt auch zur Konfliktbearbeitung. Geht es allerdings um die private Gefühlslage des/der Verhandelnden ist zu prüfen, ob diese Person seine Gruppierung (noch) in geeigneter Weise vertreten kann.

  •  Machtungleichheit

Die beste Voraussetzung für eine Mediation ist, wenn die Beteiligten nicht die Möglichkeit haben, aufgrund ihrer Machtposition ihre Lösungsvorstellungen einseitig gegen die anderen durchzusetzen. Dies trifft auf politische Konflikte oft nicht zu, denn sie sind in der Regel von strukturellen Machtungleichgewichten geprägt oder sogar verursacht. Trotzdem ist es möglich auch in diesem Fall zu vermitteln, wenn das Machtungleichgewicht durch »Macht von unten« neutralisiert werden kann oder wenn die machtvollere Seite aus Einsicht auf die Ausübung ihrer Macht verzichtet. Im Mediationsgespräch selbst muss eine gewisse Gleichheit geschaffen sein, da sich sonst die Ungleichheit in den Vereinbarungen wiederfindet – falls es überhaupt bis zu diesem Punkt kommt.

Im Rahmen einer »Vormediation« können Mediator/innen oder andere Personen als Konfliktberater/innen tätig werden. Sie können der schwächeren Partei behilflich sein, ihre organisatorische Struktur zu verbessern, ihre Stärken zu erkennen und Alternativen zu entwickeln, falls das Mediationsgespräch nicht befriedigend verläuft. Wenn eine »beste Alternative« zur Verhandlungsübereinkunft (7)  vorhanden ist, lässt man sich nicht so leicht unter Druck setzen und kann selber die Grenzlinie bestimmen, ab wann die Verhandlungen abgebrochen werden. Es kann ausreichen, die »schwächere Partei« auf ihre Handlungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen, die sie bereits hat (z.B. juristischer Weg). Die Konfliktberatung kann sich jedoch auch auf eine Beratung darüber erstrecken, wie ihre Gegenmacht durch gewaltfreien Widerstand und Vergrößerung des Bündnisses gesteigert werden kann.

Die Konfliktberatung für die stärkeren Parteien sollte eine Analyse beinhalten, warum es für sie vorteilhaft oder notwendig ist, an dem Mediationsprozess teilzunehmen. Dazu gehört auch eine Analyse der alternativen Handlungsmöglichkeiten der Gegenseite und was das für den Konfliktverlauf bedeuten würde. Wenn die mächtigere Seite ohnehin ihre Interessen auch so durchsetzen könnte, warum lässt sie sich auf Verhandlungen ein? Wenn sie sich davon einen Vorteil erhofft, wird sie das Scheitern der Mediation nicht ohne weiteres riskieren!

Tipp

Versucht die mächtigere Seite trotz allem, ihre Macht auszuspielen und die Gegenseite vermag darauf nicht angemessen zu reagieren, sollten die Mediator/innen die Verhandlungen unterbrechen.

In Einzelgesprächen sollten sie dann den Druck Ausübenden die Vor- und Nachteile ihres Verhaltens deutlich machen und nachfragen, ob sich die ursprüngliche Motivation, an der Mediation teilzunehmen, mittlerweile verändert hat.

In Einzelgesprächen mit den bedrängten Parteien können diese nochmals auf ihre »besten Alternativen« aufmerksam gemacht werden, so dass sie sich dem Druck nicht schutzlos ausgeliefert sehen. Diese Gespräche könnten auch von den ursprünglichen Konfliktberater/innen (falls es nicht die Mediator/innen selbst waren) durchgeführt werden. Dann wäre es allerdings hilfreich, wenn diese an den Mediationssitzungen beobachtend teilnehmen können.

Eine letzte Möglichkeit ist es, dass die schwächeren Parteien die Mediation abbrechen.

  •     Widerstand statt Verhandlungen?

Jede Seite muss sich gut überlegen, ob eine Verhandlungslösung wirklich in ihrem Interesse liegt: Die mächtigere Seite könnte ihre Vorhaben einfach gegen die Widerstände durchsetzen. Die schwächere Seite wird sich vielleicht eher durch Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen stärken wollen – in der Hoffnung, ihre Sache letztendlich doch durchsetzen zu können. Aber auch bei einer Teilnahme an Dialogprozessen kann es für die strukturell unterlegenen Bürgergruppen sinnvoll sein, durch Widerstand einen Machtzugewinn zu erreichen, um als Verhandlungspartner/innen ernst genommen zu werden.

  •     Wertekonflikte

In politischen Konflikten stehen sich meist Gruppierungen mit verschiedenen Wertesystemen gegenüber, seien sie in einer politischen Anschauung, Ideologie, Religion oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur begründet. Sachauseinandersetzungen bekommen dadurch schnell etwas Grundsätzliches, was eine Lösung schwer macht.

Wichtig

Wertekonflikte werden meist sehr emotional ausgetragen. Das Gegenüber wird oft als »Gegner« oder als »Feind« mit unlauteren Absichten gesehen, es herrscht ein großes Misstrauen.

Auflösbar ist diese Situation nur, wenn nicht die Wertesysteme der Konfliktparteien zum Thema gemacht und in Frage gestellt werden, sondern bestimmte Verhaltensweisen und Handlungsvorhaben, die sich daraus ergeben und von den anderen als Beeinträchtigung erlebt werden. Auf dieser konkreten, eingegrenzten Sachebene lassen sich Konflikte auch von Menschen oder Gruppen mit verschiedenen Werten konstruktiv bearbeiten und lösen. Im Prozess einer vertrauensvollen Zusammenarbeit wird auch manches Feindbild relativiert werden und Verständnis für die andere Seite wachsen

  •    Formelle Entscheidungswege und Legitimation von Verhandlungslösungen

Politische Entscheidungen werden in parlamentarischen Demokratien von den gewählten Volksvertreter/innen getroffen. In Ausnahmefällen auch in Volksabstimmungen oder durch höchstrichterliche Urteile. Eine gesetzgebende Kraft von Runden Tischen ist nicht vorgesehen. Das bedeutet, dass deren Verhandlungsergebnisse durch die formellen Entscheidungsträger/innen gebilligt und beschlossen werden müssen. Am Anfang eines Vermittlungsverfahrens ist deshalb zu prüfen, ob und wie die Ergebnisse rechtliche Verbindlichkeit erlangen können. Selbst wenn dies gewährleistet ist, kann es sein, dass durch Neuwahlen andere Regierungsmehrheiten entstehen, die sich an Absprachen der vorangegangenen Regierung nicht gebunden fühlen.

Diese Gemengelage und die bisher z.T. negativen Erfahrungen mit Vermittlungsverfahren (8) führen zu einer Verunsicherung, ob es überhaupt möglich ist, Lösungen am Runden Tisch zu erreichen. Leggewie & Nanz skizzieren in der Süddeutschen Zeitung (November 2012) folgendes Bild: »Das Vertrauen in die politische Eliten ist vollständig erschüttert, keine wissenschaftliche Autorität wird mehr anerkannt, Bürgerinitiativen haben sich in einer Wagenburg verschanzt, die Energiekonzerne stehlen sich aus der Verantwortung. Wer sich ernsthaft mit der Organisation von Bürgerbeteiligung befasst hat, möchte vor einer solchen Ausgangsszenerie davonlaufen.«

Diese Verunsicherung ist berechtigt, denn die üblichen Beteiligungsverfahren sind oftmals reine Informations- und Konsultationsverfahren. Sie tragen so nur wenig zur Deeskalation, geschweige denn zur Konfliktlösung bei. Deshalb gilt es, unsere politische Konfliktkultur weiterzuentwickeln und informelle Verfahren besser mit formellen Verfahren zu verbinden. (9)

Fazit

Die Besonderheiten politischer Konflikte stellen zusätzliche und z.T. andere Anforderungen an die Konfliktbearbeitung, als es das »klassische« Mediationsverfahren vorsieht. Dieses muss deshalb an einigen Stellen modifiziert und ggf. mit anderen Moderationsverfahren verbunden werden. Insbesondere müssen Macht­ungleichgewichte austariert, das Gebot der Transparenz und Öffentlichkeit mit der Notwendigkeit von geschützten Räumen kompatibel gemacht und eine verlässliche Umsetzung der Verhandlungsergebnisse im politischen Prozess gewährleistet werden.

Seite 5: Anmerkungen und Quellen

(1) Über Konflikte und den Zusammenhang zwischen Konflikt und Gewalt ist viel veröffentlicht worden. Dies soll hier nicht systematisch dargestellt werden. Diesem Text ist ein Konfliktverständnis zugrunde gelegt, das sich an Friedrich Glasl (Konfliktmanagement), Pat Patfoort (Sich verteidigen ohne anzugreifen) und Christoph Besemer (Konflikte verstehen und lösen lernen) anlehnt.

(2) Die »Schlichtung Stuttgart 21« war streng genommen keine Schlichtung, sondern wie Heiner Geißler es ausdrückte ein »Fakten-Check« – allerdings mit einem (unerwarteten) Schlichterspruch am Ende.

(3) Vgl. Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden (Hrsg.): Konsens. Handbuch für gewaltfreie Entscheidungsfindung, Gewaltfrei Leben Lernen e.V., Karlsruhe 2004, S. 117ff.

(4) Der detaillierte Ablauf einer Mediation findet sich in: Christoph Besemer: Mediation. Die Kunst der Vermittlung in Konflikten, Gewaltfrei Leben Lernen e.V., Karlsruhe 2009.

(5) Vgl. Christoph Besemer: Mediation. Die Kunst der Vermittlung in Konflikten, Gewaltfrei Leben Lernen e.V., Karlsruhe 2009, S. 176 ff. und 142 ff.

(6) Zum Beispiel Anwaltsplanung, Bürgerpanel, Planungszelle, Bürgerforum: vgl. Stiftung Mitarbeit (Hrsg): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch, Bonn 2009 (3. Aufl.).

(7) Vgl. Roger Fisher/ William Ury: Das Harvard-Modell. Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln, Frankfurt a.M./New York 1984, S. 145ff.

(8) Vgl. etwa Badische Zeitung vom 3. April 2013: »Bürgerdialog litt unter hohen Erwartungen. Auswertung zu Atdorf liegt vor. Stuttgart/Atdorf (fs/dpa). Auch der runde Tisch zum geplanten Pumpspeicherkraftwerk in Atdorf konnte den Konflikt um das Projekt nicht lösen. ›Der Dialogprozess hat die Positionen zum Neubauprojekt nicht verändert‹, heißt es in dem Abschlussbericht‚ ›Runder Tisch Atdorf‹, den das Umweltministerium am Dienstag im Internet veröffentlichte. ›Im Lauf des Prozesses hat sich eher noch eine stärkere Polarisierung eingestellt.‹ [...] Im Fall Atdorf seien viele Teilnehmer deshalb enttäuscht, weil ihre Erwartungen überhöht waren und nicht erfüllt werden konnten. Für einen Kompromiss war das Verfahren zu weit fortgeschritten, es begann erst nach der Raumordnung. [...]«.

(9) Vgl. König, Ursula/ Wasserman, Emanuel/ Büsser, Maurus: Was macht Beteiligungsverfahren zu Mediation? In: Perspektive Mediation 4/2012, S. 227.

Literaturtipp

Besemer, Christoph: Mediation. Die Kunst der Vermittlung in Konflikten, Gewaltfrei Leben Lernen e.V., Karlsruhe 2009.

Fisher, Roger/Ury, William: Das Harvard-Modell. Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln, Campus Verlag, Frankfurt a.M. – New York 1984.

Glasl, Friedrich: Konfliktmanagement. Ein Handbuch zur Diagnose und Behandlung von Konflikten für Organisationen und ihre Berater, Bern/Stuttgart 1992 (3. Aufl.).

König, Ursula/ Wassermann, Emanuel/Büsser, Maurus: Was macht Beteiligungsverfahren zu Mediation? In: Perspektive Mediation 4/2012, ISSN 1814-3895.

Patfoort, Pat: Sich verteidigen ohne anzugreifen. Die Macht der Gewaltfreiheit, Gewaltfrei Leben Lernen e.V. Karlsruhe 2008.

Stiftung Mitarbeit, Ley, Astrid/Weitz, Ludwig (Hrsg.): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch, Verlag Stiftung Mitarbeit, Bonn 2009 (3. Aufl.).

Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden (Hrsg.): Konsens. Handbuch zur gewaltfreien Entscheidungsfindung, Gewaltfrei Leben Lernen e.V., Karlsruhe 2004.