Rixdorfer Grundschule

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Die Donaustraße liegt ›mittendrin‹ im Neuköllner Norden, eingerahmt von der Sonnenallee und der Karl-Marx-Straße, nahe dem Hermannplatz. Zwischen internationalen Telefonläden, Elektronikshops, Gemüsehändlern, Biobäcker, Trödelläden, Schnellrestaurants, Kitas, Schülerläden und den wenigen verbliebenen Fachgeschäften finden sich kaum Spielplätze und Freiräume für Kinder. Der Kiez wird dominiert von Autos und viel befahrenen Straßen. Der große Hof der Rixdorfer Grundschule scheint daher eine Art innerstädtische Oase zu sein. Manche nennen die Gegend hier einen Problemkiez aufgrund der sozialstrukturellen Datenlage und der damit verbundenen Interpretationen. Ein deutlicher Indikator für eine solche Entwicklung ist die Einrichtung eines sogenannten Quartiersmanagements, welches ebenfalls hier angesiedelt ist. Die Schule selbst spricht dagegen von »einem richtig bunten Kiez mit all seinen Sonnen- und Schattenseiten.«

Im Folgenden werden einige der Sonnenstrahlen beschrieben, die diese Grundschule aussendet, um in ihrem Stadtquartier das gelingende Aufwachsen der Kinder gemeinsam mit ihren Familien zu fördern und zu begleiten.

Dass die Rixdorfer Grundschule im Jahre 1910 die größte Schule Deutschlands gewesen sein soll, überzeugt schnell beim Anblick des imposanten Gebäudes. Vor genau 21 Jahren ist hier nach unterschiedlichsten Nutzungsphasen wieder eine Grundschule entstanden, die sich seither den Entwicklungen in dem Stadtquartier immer wieder neu angepasst hat. Eine Herausforderung, deren Bewältigung einer staatlichen Schule oft abgesprochen wird. Ganz bewusst setzt die Schule auf ein mehrdimensional wirkendes Konzept, das sowohl strukturelle Veränderungen im Blick hat und methodische Kompetenzen der Mitarbeitenden fördert als auch und gerade an der eigenen Philosophie bzw. dem beruflichen Selbstverständnis ansetzt.

Integration ist hierbei ein zentrales Schlüsselwort. »Wenn man Integration will, dann muss man von beiden Seiten kommen, das ist keine Einbahnstraße. Und wenn Sie sich die deutsche Geschichte angucken, sind immer irgendwelche Völkergruppen integriert worden.« Allein wenn sie die Berliner Nachnamen im Telefonbuch durchsieht, fühlt sich die Schulleiterin in ihrer Aussage bestärkt. Gerade Rixdorf ist ein Ortsteil mit einer Migrationstradition, die anhand der Böhmischen Dörfer zumindest bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann.

Um sich den kiezspezifischen Herausforderungen eines integrativen Zusammenlebens konstruktiv stellen zu können, muss eine Schule einen entsprechenden konzeptionellen Gestaltungsraum haben.

Strukturelle Ansatzpunkte funktionieren insbesondere dann gut, wenn sie mit der Gesamtphilosophie der Schulkonzeption übereinstimmen. Die Wertschätzung des jeweiligen Menschen mit seiner individuellen Vielfalt ist hierbei ein ganz zentraler Aspekt. Ein minimaler, aber längst nicht überall selbstverständlicher, unterstützender Faktor ist bspw. die Tatsache, dass im Büro der Schulleitung der aktuelle interkulturelle Kalender hängt, um die verschiedenen Feste, die sich aufgrund der vielfältigen kulturellen Hintergründe der Schüler/innen ergeben, planen und feiern zu können.

Weitaus aufwendiger ist das Projekt der zweisprachigen Erziehung und Alphabetisierung in Deutsch und Türkisch. Die Schulleiterin hat hierfür eine spezifisch angepasste Konzeption entwickelt, wobei es gemischte Klassen bzgl. der Herkunft der Schüler/innen gibt. Dieses Projekt nennt sie »Begegnung mit einer Fremdsprache.« Gerade auch die Kinder deutscher Herkunft, die die türkische Sprache nicht direkt lernen, aber einiges davon im Rahmen des Projektes mitbekommen, werden so aus Sicht der Schulleitung besser vorbereitet für das grundsätzliche Verstehen des Sprachaufbaus und das spätere Erlernen der gemeinsamen Fremdsprache Englisch, die ab der 3. Klasse für alle Kinder angeboten wird.

Die Kinder türkischer Herkunft sollen zunächst ihre Mutter- bzw. Erstsprache Türkisch erlernen, um sich darauf aufbauend mit Deutsch leichter zu tun. Nach diesem Konzept werden die Kinder unterstützt, sich Deutsch als ihre erste Fremdsprache mit Hilfe ihrer fundiert erlernten Muttersprache anzueignen. Die Schulleiterin nennt Deutsch ganz bewusst eine »Begegnungssprache« zwischen den Kindern in der Klasse. Ein durchaus erwünschter Nebeneffekt ist, dass alle Kinder so ganz selbstverständlich mitbekommen, dass es eine sprachliche Vielfalt gibt, die deutlich über die Begegnungssprache Deutsch hinausgeht.

Auch für die Eltern türkischer Herkunft ist dies ein wichtiges Signal und eine große Chance. Das Erlernen der türkischen Erstsprache ist eine Aufgabe, bei denen die Eltern ihre Kinder selbstverständlich unterstützen müssen, was die Schule durch gemeinsame Hausaufgaben für Eltern und Kinder befördert. »Jetzt setzt ihr Euch hin und lest eurem Kind ein türkisches Märchen vor, dann lest ihr das gleiche noch mal in deutsch.« Zielstellung hierbei ist, dass die Familie gemeinsam eine Erstsprache korrekt erlernt, um sich darauf aufbauend die Begegnungssprache Deutsch anzueignen.

Ergänzt wird der Bereich des Erwerbs einer Sprachkompetenz durch ein Kooperationsprojekt mit der örtlichen Volkshochschule als Trägerin der so genannten Integrations- bzw. Müttersprachkurse nach dem Einwanderungsgesetz. Die Schule als ein akzeptierter und akzeptierender Ort in der Lebenswelt der Familien öffnet sich ganz bewusst den Themen, aber auch dem Lebenstakt der gesamten Familie. So werden die Sprachkurse nicht nur an dem von den Familien als angenehm und sicher eingestuften Ort der Grundschule durchgeführt, sondern auch zeitlich direkt am Vormittag platziert, nachdem einige der Teilnehmerinnen ihre Kinder in der Grundschule abgegeben haben. Selbstverständlich gibt es für die kleineren, noch nicht schulpflichtigen Kinder eine Betreuung möglichst in der Erstsprache.

Die eigene Motivation steigt bekanntlich, wenn einem selbst der Sinn und auch der eigene Nutzen der bevorstehenden Anstrengung nachvollziehbar ist. Eine Sprache zu erlernen allein aus dem Zwang heraus, dies tun zu müssen, hat bzgl. einer Nachhaltigkeit der Sprachkompetenz im Alltag eher geringe Chancen. Aus diesem Grund versucht die Schule, das Sprachkursangebot für die Familien nicht nur strukturell attraktiv zu machen, sondern es auch mit einem inhaltlichen Sinn zu verbinden.

So hat die Schulleiterin sehr gute Erfahrungen damit gemacht, die Sorgen ernst zunehmen, die sich viele Väter um die Zukunft ihrer Söhne machen. Sie greift diese Sorge ehrlich auf und macht dem Vater gleichzeitig klar, dass es vor allem wichtig ist, dass die Mutter in der Familie gestärkt wird, um das Ziel, das der Vater hat, zu erreichen: »Wenn Sie wollen, dass Ihr Sohn erfolgreich wird, müssen Sie Ihre Frau unterstützen.« Die Schulleiterin wirft also nicht etwa dem Vater vor, dass er nur seinen Sohn im Blick hat und seine Frau nicht entsprechend den hiesigen Verhältnissen in ihrer Entfaltung unterstützt. Vielmehr nimmt sie die Sorgen des Vaters ernst und verdeutlicht ihm zugleich, dass nur eine Mutter, die sich in ihrer Umgebung und mit dem Schulsystem gut auskennt und die sich auf deutsch verständigen kann, ihre Kinder angemessen bei den Hausaufgaben unterstützen kann. Damit kann sie dem Vater sowohl die in ihrer Schule angebotenen Sprachkurse für Mütter zugänglich machen als auch seine Zustimmung für die weitere Unterstützung der Mutter erhalten.

Die Schulleiterin: »Wenn man die Integration wirklich will, dann muss man aus dieser Kultur heraus Verständnis für diese Menschen haben, um sie aus ihrer eigenen Kultur mit der anderen Kultur, in der sie jetzt leben, in Verbindung zu bringen. Und das können sie nur über Bildung erreichen.« Interkulturelle Kompetenz bedeutet somit auch, ein Wissen über andere Kulturen zu haben ohne dieses den Familien kulturalistisch zuzuschreiben.

Nicht durch Druck und Konfrontation, sondern durch Wertschätzung und Ansetzen an den vorhandenen Interessen und Sorgen sowie durch das Nachvollziehbarmachen der Sinnhaftigkeit einer Veränderung wird aus der Motivation eines Vaters eine Bewegung in die gewünschte Richtung. Ausgehend von der väterlichen Sorge, kann die Schulleiterin ihr eigenes Ziel, die Bildung der Kinder und ihrer Mütter zu verbessern, erreichen. Denn auf diese Weise agiert sie mit der familiären Kultur und mit den Vätern. Die Schule öffnet sich gegenüber den Familien und ihren Alltagsthemen und damit auf einer strukturellen Ebene zugleich anderen Kooperationspartnern.

Ein weiteres Projekt nennt sich Interkulturelle Moderation und wird durch einen Trägerverbund, der auch an diese Grundschule angebunden ist, über das bereits erwähnte Quartiersmanagement bzw. das Programm ›Soziale Stadt‹ finanziert. Zentrale Aufgabe dieses Konzeptes liegt im Einsatz qualifizierter Sozialarbeiter/innen mit türkischer, arabischer und serbokroatischer Herkunft an Schulen, die dort als Vermittler zwischen Eltern, Schülern und Lehrern agieren sollen.

Durch fehlende Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus kommt es oft zu Missverständnissen. Nach Ansicht einer Projektmitarbeiterin ist es daher sehr wichtig, »diese Brücke einfach herzustellen, damit die Eltern ihre Angst vor der Institution Schule abbauen. Es ist ihr Recht, auch wenn sie schlecht Deutsch sprechen, einfach mal ihre Sorgen und auch Bedenken an die Schule herantragen zu können.«

Zugleich besteht aber auch für die Lehrer/innen die Möglichkeit, einen besseren Einblick in die Lebenssituation einzelner Familien zu bekommen und so die unterstützenden Angebote passgenauer abzustimmen, möglichst gemeinsam mit den Eltern statt gegen deren Vorstellungen und Möglichkeiten. Es ist also eher eine Moderation zwischen den Kulturen der Elternhäuser und einer Schule, als zwischen ethnischen Kulturen. Ein großer Vorteil für den gelingenden Zugang der Mitarbeitenden zu den Familien ist auch hier wieder die erstsprachliche Kompetenz und die eigene biografische Migrationserfahrung. Es ist nachvollziehbar, dass die Mitarbeitenden sich bei ihren Unterstützungsangeboten nicht allein auf schulbezogene Themen beschränken. Prinzipiell sind alle Themen, die die Eltern in der Zusammenarbeit benennen, anzugehende Herausforderungen. Um dies gut zu meistern, ist das Projekt selbst wiederum sehr eng mit anderen Unterstützungsangeboten im Stadtteil vernetzt.

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Der Faktor eigene biografische Migrationserfahrung erscheint in dieser Schule in einem ganz besonderen Licht. Die Schulleiterin selbst hat in ihrer beruflichen Laufbahn lange Zeit im Ausland gearbeitet und dort mit ihrer Familie gelebt. Ihren eigenen Schilderungen zufolge nutzt sie diese Erfahrungen sehr stark für die Gestaltung des Zugangs zu den Familien. Einerseits scheinen die Familien ihr dadurch eine höhere Akzeptanz bzgl. der von ihr gezeigten Empathie entgegenzubringen. Andererseits scheint die Schulleiterin sich auch höchst authentisch in die Lebenssituation der Familien einzufühlen und dies entsprechend professionell als Ausgangspunkt für entsprechende Unterstützungsangebote zu nutzen.

Einen ganz besonderen Vorteil haben aus diesem Grunde Mitarbeitende mit eigenem Migrationshintergrund sowie entsprechenden erstsprachlichen Kompetenzen. Sie können für die Zugangsgestaltung die dadurch bedingte eher verbindende Fremdzuschreibung der Eltern positiv nutzen und haben zugleich in mancher Hinsicht etwas Verbindendes, das eine gute Ausgangslage für eine Zusammenarbeit bildet.

Neben den bereits erwähnten Mitarbeitenden aus dem Kooperationsprojekt der interkulturellen Moderation hat die Schulleiterin zudem eine Lehrerin und einen Lehrer mit eigenem Migrationshintergrund sowie drei türkische Lehrerinnen mit Examen des Geburtslandes für ihr Kollegium gewinnen können. Bei der aktuellen Stellensituation in Berliner Schulen scheint dies ein wirklicher Gewinn zu sein. Diese Kolleg(inn)en stellen für viele Kinder und Eltern ein lebendiges und greifbares Modell für eine mögliche Perspektive von erfolgreichem Zusammenleben in dieser Gesellschaft dar. Diese an der Rixdorfer Grundschule erfahrbare Selbstverständlichkeit, dass Mitarbeitende mit eigener Migrationserfahrung ganz selbstverständlich im Team integriert und anerkannt sind, ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor für das gelingende Gesamtkonzept.

Wenn Schule sich als ein selbstverständlicher und wesentlicher Teil in der Lebenswelt der Familien versteht, ist aus Sicht dieser Schule eine enge, vertrauensvolle und verbindlich-kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und den Angeboten der Jugendhilfe nicht nur hilfreich, sondern zwingend notwendig. Aus ihrem Verständnis heraus nicht etwa, um die Kinder aus belasteten Lebenslagen aus der Schule zu entfernen, sondern damit sich die Schule besser auf die jeweiligen Lebensumstände einstellen kann. Doch hierfür ist eine kontinuierliche und verlässliche Kooperation die Grundlage, die nicht in jedem akuten Einzelfall erneut das Abklären der institutionellen Grenzen und des jeweiligen beruflichen Selbstverständnisses erfordert, sondern als Fundament dient für eine frühzeitige, ineinandergreifende Unterstützung. Schule als Regeleinrichtung und zugleich Ort der familiären Lebenswelten kann bei einer entsprechenden sozialräumlichen Einbettung und Kooperation Kinder aus belasteten Lebenslagen gut integrieren, so die Sicht dieser Schulleiterin.

Dass all diese Elemente der Schulkonzeption erst wirksam werden, wenn das gesamte Kollegium mitzieht, ist selbstverständlich und daher eine nicht geringe Herausforderung. Klar dass nicht jeden Tag die Sonne scheint, aber es zeigt sich an diesem Beispiel, dass eine Menge gelingen kann.

Adresse

Rixdorfer Grundschule Berlin Neukölln
Donaustr. 120
12043 Berlin

www.die-rixdorfer.de